Dienstag, 1. Februar 2011

STARTFELD

Ich esse, du isst, wir essen. Wir leben, du lebst. Manche schaffen es sogar, beides zu vereinen: ich lebe und esse trotzdem, ich esse und lebe trotzdem.
Stimmt nicht.

Während ich hier beispielsweise gerade auf kleine graue Quadrate einkloppe, stopf ich mir parallel M&Ms in den Mund. Essen ist so etwas wie der Grundbeat zu meinem Leben. Leider nur scheint ebendieser Beat taub und stumm oder auch bloß ignorant und selbstgefällig zu sein, jedenfalls passt er sich nie, nie, niemals der Melodie an, die sich darüber legt.
Ich esse also eher als dass ich lebe.

Gerede und Geschreibe über Essstörungen können relativ bis sehr nervtötend sein, vor allen Dingen dann, wenn man sich durchaus seiner kläglichen Situation bewusst ist, sie vielleicht sogar in der Lage ist zu analysieren, nicht aber verändern kann. Absolut erquickend ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis: „Ich bräuchte fremde Hilfe!“ und im gleichen Atemzug das Gefühl, lächerlich zu sein; in seinen (vielleicht doch bloß eingebildeten?) Problemen und dem weitreichend selbstreflektierten Gedanken: „Wieso redest du dir Sachen ein, von denen du in derselben Sekunde weißt, dass sie ganz anders liegen?“. Und man weiß, als ob das nicht genug wäre, dass auch dieses Denken nichts als aufgesetzt ist: dass die Sachen eben doch so liegen. Genau so!

Wenn ich nach Hause komme, finde ich mich früher oder später in der Küche wieder. Genauer: am Tisch. Konkreter: mit einem Keks/ einem Stück Schokolade/ ein wenig angerührtem Teig/ irgendwas Süßem in der Hand. Gen Abend dann häufig mit etwas Salzigem, zur Nachtzeit mit einem kleinen Betthupferl, ebenfalls herzhaft (man geht schließlich mit den Tageszeiten). Vor vielen Monaten bin ich dann regelmäßig in die Bücherei gelaufen und habe mich durch das Regalbrett „Essstörungen“, Abteilung Psychologie, zweiter Stock gelesen. Auch die Bücher, die ich mir gekauft habe, diagnostizierten: „Zwanghaftes Essen“. Aha. Schön. Oder vielmehr: ekelhaft! Richtig widerlich! Wer macht denn sowas bitte? Entweder du bist magersüchtig oder hast Bulimie. Das sind Essstörungen. Aber zwanghaftes Essen? 

Davon reden sie nie. (Höchstens unterschwellig, in wüsten, vermeintlich nebenbei geäußerten Anmerkungen wie: „Boah. Guck mal, wie fett die/der ist! Frisst bestimmt den ganzen Tag.“)
Ich bin nicht „fett“, eher normal, leicht pummelig vielleicht. Es gibt schließlich auch beim zwanghaften Essen wie bei jeder Essstörung Phasen und Schübe. Vor drei Wochen dachte ich, die Welt wäre schön; ich aß nur dann, wenn ich Hunger hatte (was ist Hunger?).  Jetzt wiederum esse fresse ich wieder, fast ununterbrochen (ja, Selbsthass ist nicht schön; nein, ich kann zurzeit nichts dagegen tun – und er hat sich schon relativiert im Laufe des letzten Jahres!).

Wenn du ständig isst, fühlt sich dein Leben diffus an. Du hörst auf zu glauben, dass essen etwas Gutes ist. Dass man essen darf (ganz davon abgesehen, dass man muss).
Der Weg dahin ist meistens eine Verstrickung blöder Geschehnisse: eine Diät, eine Phase Magersucht, ein kleiner Erfolg, ein Misserfolg, eine Runde kotzen, alles auf Anfang.
Ganz auf Start kommt man aber nie zurück. Einziger Ausweg: selbst ein neues Startfeld festlegen.
Und dit versuch ick jetz mal: cogor ist ein Blog über zwanghaftes Essen/Binge Eating.

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